Die Koka-Pflanze (Erythroxylon coca) gilt den Andenvoelkern seit Urzeiten als heilig. Sie untersteht der mythischen Mama Coca, einer verfuehrerischen Frau. Als die Indianer christianisiert wurden, aenderte sich an der Verehrung dieser Pflanzengoettin nichts. Sie wurde lediglich mit der Jungfrau Maria identifiziert. Maria habe auf ihrer Flucht nach Aegypten unter einem Strauch Rast gemacht. Entkraeftet pflueckte sie einige Blaetter und kaute an ihnen. Sofort fuehlte sie sich angeregt und kraeftig und konnte ihre beschwerliche Reise fortsetzen. Als leistungssteigerndes Mittel steht deshalb Koka in hoechsten Ansehn. Ausserdem vermag die Pflanze das Hungergefuehl zu vertreiben. Deshalb ist es Brauch, von morgens bis abends die kleinen Kokablaetter mit Quinoa-Asche oder Muschelkalk zu kauen, um die wirksamen Bestandteile zu loesen.
Fuer die Anwendung der Kokablaetter mussten strenge Regeln befolgt werden. Hielt man sie ein, konnte die Pflanze zu einem wichtigen Heilmittel werden. Die Inka behandelten zahlreiche Krankheiten mit der Pflanze, von Magengeschwueren bis zur Hoehenkrankheit und Impotenz. Man kannte auch die lokalanaesthetische Wirkung und setzte deshalb Koka bei Operationen ein. Die Bedeutung, die Koka bei den Andenvoelkern bis heute hat, zeigt sich an praekolumbianischen Tonfiguren, auf denen Schamanen - ausgewiesen durch das Krafttier, den Jaguar - als Kokaesser mit dem charakteristischen Beutel fuer die Kokablaetter dargestellt wurden.
Der Kokagenuss stand fuer den rituellen Gebrauch der Pflanze allerdings nicht im Vordergrund, zumal sich daraus keine halluzinogene Wirkung ergibt. Die Blaetter wurden vielmehr fuer ein rituelles Orakel benutzt, das auch heute noch unter Heilern und Schamanen in den Anden weitverbreitet ist. Eine alte Frau der Quollawaya Indios aus Bolivien, die fuer ihre Heilpflanzenkenntnisse bekannt sind, befragt das Koka-Orakel auf folgende Weise: Sie waehlt zwoelf Kokablatter aus und schreibt ihnen, je nach Form, Faerbung und Aussehen, bestimmte Bedeutung zu. Dann laesst sie die Blaetter auf ein Tuch fallen. Die Klientin stellt ihr Fragen und sie liest aus dem zufaelligen Beziehungsmuster, das die Blaetter bilden, ihre Antworten heraus. Mit Kokablaettern die Zukuft vorherzusagen hst besonders bei den Indianern in Bolivien und Kolumbien eine lange Tradition. Das Wissen, das dazu noetig ist, eird von den Schamanen und weisen Frauen muendlich weitergegeben. Auf einer Tonfigur der Moche-Kultur (um 200-800 n. Chr. in Peru) ist ein Schamane mit einem Raubvogelschnabel im Kopfputz und reichen Ohrgehaengen, Zeichen seiner gehobenen sozialen Podition, zu sehen. In seinen Haenden haelt er das Taeschen fuer die Kokablaetter und das Gefaess mit dem Muschelkalk, der zusammen mit den Blattern gekaut wird. Der untere Teil der Darstellung zeigt ein Waffenbuendel, das als Symbol fuer einen Schamanenkampf steht und zwei Fuechse - Schamanentiere - die Kakteen fressen. Die Scene stellt die Vorbereitung fuer das Koka-Orakel dar.