#1

E.M. Cioran

in philosophischer Satanismus 11.04.2011 17:56
von Sicarius | 214 Beiträge

Um meiner früheren Inkarnation und viel zu unbekannten Seelenverwandten post mortem noch etwas Aufmerksamkeit zu verschaffen, werde ich euch gnädigst an ein paar von ultimativer Klarsicht inspirierten Zeilen teilhaben lassen:

Die Tatsache, dass ich lebe, beweist, dass die Welt keinen Sinn hat. Denn wie könnte ich in der Ruhelosigkeit eines übermäßig erregten und unglücklichen Menschen, für den sich alles letztlich auf das Nichts beschränkt und über dem das Leiden als Weltgesetz waltet, einen Sinn aufspüren? [...] Alle überspannte Beflissenheit und alle irrsinnige, paradoxe Leidenschaft, die ich daransetzte, um im Diesseitz zu glänzen, aller teuflischer Zauber, den ich verbrauchte um mir einen künftigen Nimbus zu erwerben, und der ganze Elan, den ich auf eine organische Wiedergeburt oder innerliche Morgenröte verschwendete, haben sich als schwächer erwiesen als die Bestialität und Urgründigkeit dieser Welt, welche alle ihre Vorräte an Verderbnis und Gift in mich ausgegossen hat. Das Leben hält hohen Temperaturen nicht stand.
Deshalb bin ich zu dem Schluss gelangt, dass die unruhigsten Menschen, mit ihrer inneren, paroxystischen Dynamik, welche die gewöhnliche Temperatur nicht akzeptieren können, zum Zusammenbruch ausersehen sind. Es steckt ein Aspekt der Dämonie des Lebens im Ruin derer, die unter gewöhnlichen Himmelsstrichen leben, aber auch ein Aspekt seiner Unzulänglichkeit, der erklärt, weshalb das Leben ein Vorrecht der Mittelmäßigen ist. Nur Durchschnittsmenschen leben bei normaler Temperatur; die Andern reiben sich bei Temperaturen auf, welche das Leben aushöhlen, bei denen sie nur mit einem Bein im Jenseits stehend atmen können. ...


(Zeilen, die ich heute, am 8. April 1933, da ich zweiundzwanzig Jahre alt werden, geschrieben habe. Mir ist seltsam zumute, wenn ich bedenkte, dass ich bereits zu einem Spezialisten des Todes geworden bin.)

Die unglücklichsten Menschen sind jene, denen das Recht auf Bewusstlosigkeit versagt bleibt. Einen erhöhten Bewusstheitsgrad haben, jeden Augenblick bewusst gewahren, allezeit des eigenen Verhältnisses zur Welt eingedenk sein, unter einer ewigen Spannung der Erkenntnis leben bedeutet, fürs Leben verloren sein.
Die Erkenntnis ist eine Plage für das Leben und das Bewusstsein eine klaffende Wunde im Lebenskern.


Ich werde nie begreifen, wie es so viele Menschen geben konnte, welche den Leib für eine Illusion erklärt haben, so wie mir auch niemals einleuchten wird, wieso man sich den Geist außerhalb des Dramas des Lebens vorstellen konnte, außerhalb der Widersprüche und Schwächen desselben. [...] Wie konnten die Menschen das Leben ohne Körper austüfteln oder die autonome und ursprüngliche Existenz des Geistes ersinnen? Das haben nur jene, die keinen Geist besitzen, sich ausdenken können, die gesunden und bewusstlosen Menschen.
Denn der Geist ist die Frucht einer Krankheit des Lebens und der Mensch nur ein erkranktes Tier. Das Vorhandensein des Geistes ist eine Anomalie im Leben.


Ich weiß nicht, was gut und böse, was erlaubt und was unerlaubt ist; ich kann weder verdammen noch loben. Es gibg kein gültiges Kriterium und kein konsistentes Prinzip in dieser Welt.

Was dich nicht zu Gott oder Satan macht, ist kein Ichwahn.

Wenig Erkenntnis entzückt; viel Erkenntnis ekelt. Je mehr man erkennt, desto weniger möchte man erkennen. Wer nicht wegen der Erkenntnis leidet, hat überhaupt nichts erkannt.

"Einzig das Leid begründest das Bewusstsein" (Dostojewski). Die Menschen lassen sich in zwei Kategorien einteilen: diejenigen, die das verstanden haben, und die anderen.

An Gott zu glauben, dispensiert uns davon, an irgend etwas anderes zu glauben - was ein unschätzbarer Vorteil ist. Ich habe immer die Gläubigen beneidet, obwohl der Glaube, dass man selbst Gott ist, mir einfacher zu sein scheint, als an Gott zu glauben.


zuletzt bearbeitet 11.04.2011 17:58 | nach oben springen

#2

RE: E.M. Cioran

in philosophischer Satanismus 13.04.2011 11:48
von asleif | 113 Beiträge

Danke für diese schöne Prosa. Den Mann kannte ich noch nicht.

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